Weiße Glut

 

Meinen Schädel durchzogen letzte Wolken eines tränenreichen Donnersturms. Ich schleppte mich den tiefen, den lichtlosen Flur entlang; ich wackelte ins Zimmer und schloss hinter mir ab, obwohl ich alleine wohne. Ich ließ meinen Handrücken die breiten Risse in der alten Wand fühlen. Ich mag sie. Die kalten Badezimmerfließen spürte ich noch immer meine Wirbelsäule mit eisigen Fingern umklammern. Hatte ich doch stundenlang zwischen Wanne und Toilette gelegen und die bald blutigen Fäuste gegen die Keramik geschlagen. Der Zorn ob meiner Trauer krachte und donnerte einmal mehr in mir, ich setzte mich an den Schreibtisch. Der Morgen war längst angebrochen. Draußen zitterten die kahlen Äste der Nussbäume letzte Schneereste im Wind ab und starrten aus gefrorener Erde einem bleiernen Wolkenhimmel entgegen. Ich kauerte vor leeren Blättern, und blickte taub und blind und stumm und regungslos hinein. Der stechende Schmerz der mir in den letzten Tagen zum immer wiederkehrenden Kompagnon geworden war, krallte sich hinter meinen Augen und über meinem Gaumen fest wie eine kreischend Katze über tobenden Wellen.

 

Meine Verständnislosigkeit, meine Trauer, meine Enttäuschung, meinen Schmerz. Sie alle möchte ich fortspülen, weiß aber, gelingen wird’s mir wohl nie. Irgendwann nehme ich den Stift zur Hand. Langsam, statisch, nein vielmehr als das schreibe ich in leerer Gleichgültigkeit, die aber keine bleiben sollte. Am Nachmittag stehe ich auf. Das graue Licht, das durch das Glas zwischen frostgesprengten Fensterrahmen dringt, liebkost meine roten Augen. Es ist gnädig, es tut nicht weh. Kaffee und Bourbon spülen den schalen Geschmack des hinuntergewürgten Wassers weg. Zigaretten vertreiben das Kaffeearoma. Dass die Sonne untergeht, fällt mir nicht auf, unterscheidet sich die Nacht in diesem Spätwinter doch nur wenig vom Tag. Und ich notiere weiter. Ich lasse Menschen fürchten, lasse sie lachen und lasse sie schreien. Ich füge Schmerzen zu und nehme sie. Ich formuliere Sätze und habe sie nach dem Verfassen schon vergessen. Meine bald taub gewordenen Fingerspitzen geben Leben und nehmen es.

 

Weit vor Morgengrauen erwache ich. Schrecke hoch. Meine Wange brennt vom harten Holz des Schreibtisches, auf dem ich eingenickt sein muss. Augen, Mund und Nase scheinen mir mit nassem Sand gefüllt. Ich schlucke den Rest des alten Kaffees einen zugeschnürten Rachen hinunter und blinzle wieder aufs Papier. Lange dauert es, bis der Blick klar wird und ich den Text erkenne. Ich kann mich nicht ans Träumen erinnern. Nicht jetzt und nicht gestern. Nicht die letzten Tage und überhaupt fällt es mir schwer daran zu denken. Und ich bin froh. Muss ich mich nicht mehr völlig wehrlos den zermürbenden Erinnerungen hingeben, nein, die Müdigkeit legt mir stattdessen Ideen in den Verstand. Meine Traumlosigkeit inspiriert mich. Meine Insomnie treibt mich an, modelliert frische Einfälle. Also lasse ich die Finger und damit die Figuren wieder tanzen. Ich lasse sie weinen und lasse sie leiden. Ich breche Abgründe vor ihnen auf und lasse sie einsam und verlassen; ich lasse sie nackt stehen. Zu Mittag ist mein Magen nach all den Tagen endlich resigniert verstummt. Ich esse Schokolade bis die Zunge an den Zähnen klebt. Ja, da gefalle ich mir; noch gefalle ich mir in der Rolle. Tabletten geben mir erlösend traumlose Minuten der Ohnmacht. Am Nachmittag habe ich Tee gekocht. Scotch und etwas Sahne, sie ist alt, werten auf. Abends, noch immer sitze ich am Schreibtisch, schmerzt mein Gesäß so gewaltig, dass ich die nächsten Stunden kniend schreibe.

 

Ich lasse Emotionen zerschlagen und Existenzen scheitern. Ich schreibe Angst und Panik in die Menschen. Ich nehme Hoffnung, und gebe knisternd Furcht. Das Messer in meinem Kopf weicht inzwischen nicht einmal mehr bei größten Zornausbrüchen, wie sie stündlich mein Schreiben stören. Ich rauche Gras, das hilft vielleicht. Träge drücke ich heiße Tränen aus meinen Augen und mich selbst vom Tisch fort in die dumpfe Dunkelheit des alten Büros. Ich mustere die Mauer neben mir. In meinem Zimmer bröckelt die Farbe von den Wänden. In meinem Inneren tut sie das auch.

 

Wie von Leim verklebt schiebe ich meine Lider jäh und zaghaft auf. Keine Ahnung ob noch Nacht oder doch schon Morgen. Ob noch Schlaf oder doch schon munter. Das jähe Licht von außen ist seit Wochen kein Indiz für Tageszeit. Der Kaffee von vorhin: noch nicht ganz kalt. Habe mir den Schlaf wohl selbst nur vorgespielt. Ich nicke mutlos. Bis zum Sonnenaufgang beobachte ich misstrauisch Schatten die die Decke besiedeln und sich immer wieder neu zu bizarren Gestalten formieren, um mir entgegen zu schimpfen, mich zu beklagen, oder markerschütternd in den Raum zu schluchzen. Ich klammere mich an den Armlehnen fest, meine Augäpfel rotieren unter schweißgetränkten Brauen. Träume oder wache ich? Mit dem Licht kehrt Ordnung ein, und die Schatten verschwinden endlich durch die Ritzen im alten Doppelfenster. Immer wieder schweift mein Denken ab, zerbersten alte Muster in schlafloser Zerrüttung um in wirren Ideensplittern zu verschmelzen. Splitter die ich meiner Geschichte tief ins Fleisch treiben muss. Ja, wie gut das tut.

Ich lasse sie im Staub kriechen und um ihr Leben fürchten. Ich lasse sie fallen, aber nicht verkommen. Seite um Seite schlagen sie sich durch ihr Drama, durch mein Drama. Stunden später, wenn ich mich erhebe, schießen Feuerbäche durch meine steifen Glieder, während ich mich aus der verdrehten, kauernden Haltung herauswinden will.

Möchte ich in die Küche, so bewege ich mich auf allen Vieren. Ein Nachbar könnte mich ja sehen oder weiß der Teufel wer. Sie könnten mich fassen und einsperren. Nein, nein, das – das darf nicht sein. Außerdem wird mir auch nicht übel, wenn ich mich am Parkett entlang drücke. Ich zwinge mir Wasser in die Kehle. Dann wieder Kaffe, dann wieder Bourbon. Tabletten mit dazu. Am Nachmittag quäle ich mich greisern in die Dusche, aber das laute Rauschen des Wassers schlägt mir mit jedem Tropfen Löcher ins Gehirn. Am Weg zurück, ich brauche jetzt sehr lange dafür, vermisse ich das Träumen doch. Vermisse ich die Phantasie, vermisse ich meine mir ganz eigene Welt, während um mich herum entfärbte Schemen des Schwindels tanzen. Wie ein satter Trinker muss ich niederträchtig grinsen. Und bald sitze ich wieder an meinem Tisch und lese letzte Zeilen. Ideen, die schwarz auf weiß da stehen, haben sich mir nun offenbart. Traumlos habe ich krankes Denken um mich gescharrt und kann es nun auch nieder schreiben, das Geschehen weitertreiben.

Irgendwann wird es dann heller. Doch bald hält die Nacht wieder ihren Einzug. Oder war das nur ein Licht von außen? Wenn ich keuchend meine Augen öffne, weiß ich nicht ob ich erwacht oder damit in den Schlaf geglitten bin. Ich fürchte meine krummen Schultern könnten vor Schmerzen auseinander und durch den Rücken herausbrechen. Mein Magen gibt sich mittlerweile als glühender Gewebeknoten  und reißt mir von unten her die Brust fast auf. Aber ich schreibe. Mit der Geschichte am Ende, sehe ich kurz vor Sonnaufgang einmal mehr in die Risse dieser Wand. Dann wandert mein Blick zum Fenster hinaus. Lange verharre ich so, beobachte die kahlen Bäume, beobachte einen Spatz der klarem Himmel entgegen singt. Die Knie schmelzen fast an meinen Waden hinunter. Aber ich schreibe. Ich sehe mich aus dem Zimmer wanken. Der Morgen schlitzt die letzten Winterwolken auf und sprüht erste goldene Funken wärmenden Lichtes in meine Kammer.

 

Meine Gelenke unter spröder Haut krachen, gleich zersplitternd. Brennende Kälte schüttelt meinen Körper kaputt, während die Stirn in weißer Glut den Geist zerreißt. Aber ich schreibe. Ich lasse meine Figuren Züge machen. Ich lasse sie wehrhaft werden, ich lasse sie aufbegehren, ein aller letztes Mal. Ich lasse sie kämpfen, ich lasse sie lieben. Und zum Schluss, da lasse ich sie leben.

 

Und es ist gut.

 

© JD Alexander 2014